Mith CD cover

Am Anfang war es nur ein Ei und die unendliche Finsternis; bis auf einmal ein Klang das Ei entzwei brach. Der Eischalenstaub formte den Heiligen Baum, dessen Baumstamm den Himmel vom Meer und der Erde trennte. Perun, der himmlische Gott des Donners und der Blitze herrschte auf dem höchsten Zweig des Weltbaums. Sein größter Feind Veles, der Gott der Unterwelt und der Herrscher über das Totenreich, herrschte an der Wurzel des Weltbaums. Er stahl Peruns Sohn Ivan und erzog ihn in der Unterwelt als eigenen Sohn.

Warum er das gemacht hat, ist nicht unsere Geschichte. Sondern die Folgen seiner Tat, denn die beeinflussen uns alle, weil dieser neugeborene Gott die Macht hatte, die Natur zu wecken und uns den Wohlstand zu bringen.

Lijepa Mara

FRÜHLING

Götter sind ungewöhnliche Wesen, denn sie tun, was und wie sie wollen. Ivans Aufwachsen in der Unterwelt war ihm bis zu einem Punkt interessant, bis es nichts mehr Neues zu sehen und lernen gab. Dann entschied er aus der Unterwelt auf die Erde zu kommen, zu dem Teil des Weltbaums, wo Menschen lebten. Sein Dasein selbst weckte die Natur, das Gras begann zu wachsen, die Bäume bekamen Blätter, alles passierte, weil Ivan der Gott der Fruchtbarkeit war.

Auch die Sonne gab mehr Wärme. Dazbog, der Gott der Sonne wollte wissen, welcher Gott das ist und neigte sich näher zur Erde und erwärmte sie noch mehr. Dann kam der Frühling, der erste Frühling immer. Und genau das ist das Moment, in dem unsere Geschichte anfängt. Genau dann traffen einander Mara, die Tochter des Gottes Perun, und Ivan und verliebten sich ineinander.

Kukuvačica

SOMMER

Mara und Ivan waren die zwei wunderschönsten Götter auf der Erde. Ihre Liebe war ganz jung und naiv. Die Menschen verehrten sie und bereiteten große Lagerfeuer für ihre Hochzeit, sie sangen, tanzeten und sprangen über das Feuer. Dazbog, der Gott der Sonne, war auch auf der Hochzeit und beachtete, dass er nicht zu nahe kommt und alles verbrennt. Seit dann nennt man diese Zeit Sommersonnenwende, denn dann ist die Sonne der Erde am nähesten.

Senjicu senjala

Nachdem sie geheiratet hatten, hatte Mara einen grausamen Vorahnungstraum, in dem ihre ganze Welt zusammenfiel. In ihrem Traum teilte sich der Himmel, die Sonne wurde dunkler, der Mond und die Sterne fielen auf die Erde. Sie fühlte, dass etwas Schlechtes passieren wird, worauf sie keinen Einfluss haben will. Ihr Leib tat weh, sie hatte Brustspannung, ihre Hände brannten mit ungeworfenen Blitze.

Man sagt, dass alle Frauen heute Maras Nachkommen sind und ihre Lebensänderungen gleich wie die von ihrer Göttin Mara sind. Und ihre Intuition ist viel besser als die von Männern. Manchmal ist das aber kein Glück.

Trun se truni, Nesi lepa gora

HERBST

Wie die Zeit verging, wurden Ivan und Mara warscheinlich Eltern. Wir wissen aber nichts von ihren Kindern: wer sie waren und was aus ihnen wurde. Felder und Obstgärten waren alle fruchtreich. Aber Ivan, der Gott der Fruchtbarkeit, derjenige, der die Natur weckte und der das Leben auf die Erde brachte, konnte aber den anderen Frauen nicht widerstehen. Das war stärker als er selbst. Mara wurde es bewusst, dass er nachts andere Frauen besucht. Das wusste sie schon damals, als sie ihn heiratete. Aber sie hoffte, dass ihre Liebe seine Leidenschaft verringern oder vielleicht seinen Lebenssinn ändern wird.

Das passierte aber nicht. Mara, einerseits tief verletzt, andererseits wütend, denkt darüber nach, was zu tun. Kann eine Göttin das einfach ignorieren und akzeptieren?

Pitam tebe, Maro

WINTER

Mara ist wunderschön, Mara ist kräftig, Mara ist rachsüchtig. Sie ist eigentlich selbst die Göttin und kann aber die Rolle des Opfers nicht übernehmen. Als Tochter von Perun, des Gottes des Donners, fragte sie ihre Brüder, sie zu rächen. Sie töteten Ivan mit dem Donner.

Črna gora

Ivans Tod brachte wieder Winter. An ihren Händen trägt Mara die Blut des Gottes, ihres Mannes. Sie ist nicht mehr naiv sowie unschuldig. Sie ist jetzt weise und furchtbar. Sie änderte sich. Sie änderte sich so stark, dass sie wie eine alte hässliche Frau wurde. Menschen hatten vor ihr Angst. Menschen erschraken ihre Kinder mit Baba Jaga, die aus Mara wurde, und sagten, sie frisst sie, wenn die Kinder sich nicht gut verhalten. Allein und kalt wie ihre Umgebung wanderte Mara auf der Erde, konnte nie mehr lieben, und alles, was passierte, war für sie niederschmetternd. Das Leben ohne Liebe ist wertlos. So entschied sie mit Hilfe ihrer göttlichen Kraft den Zeitwirbel zu schaffen. Sie wollte die Zeit umkehren.

Jetzt ist Winter, aber sie wird wieder jung und der Frühling kommt und vielleicht dieses Mal ändert sie Ivan und ihre Schicksal. Sie entschied alles von Anfang an zu versuchen, und sie macht das jeden Winter trotz Schmerzen und Enttäuschung, was damit kommt. Wie lange sie das machen wird, weiß ich nicht. Und wir? Wenn der unendliche Frühling und Sommer kommen, wissen wir dann, dass sie es geschafft hat.

drvo_godisnja_doba